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Eindruecke  |  Tourismus gaenzlich unbekannt

Tourismus gaenzlich unbekannt

Dort (in N.Nowgorod) waren wir bei Familien untergebracht und verbrachten mit diesen auch zwei Tage in der Stadt. Auslaendischer Tourismus ist hier bislang (zum Glueck) gaenzlich unbekannt, was unsereinen, der gewohnt ist mit Deutsch und Englisch eigentlich immer zurechtzukommen, doch vor

groessere Probleme stellt: Stadtplaene gibt es (noch) nicht, Strassenschilder eher selten, und wenn, dann selbstverstaendlich nur kyrillisch beschriftet. Die freundliche, hilfsbereite Einstellung vieler Russen gegenueber westlichen Besuchern laesst einen aber immer dort hin gelangen, wohin man wollte: Der Kreml (die mittelalterliche Stadtbefestigung), verschiedene prunkvolle orthodoxe Kirchen, die verkehrsberuhigte Einkaufsmeile), Markt, Hafen, ein Naturkundemuseum und die Wohnung, in der A. Sacharow unter Hausarrest stand, und die jetzt als Museum dient. In einer kleineren Gruppen konnten wir auch einen Blick in die Studios des jungen privaten Fernsehsen-

ders der Stadt werfen und mit den Mitarbeitern diskutieren. Ins Auge fallen die krassen Kontraste zwischen Arm und Reich: in der Innenstadt werden Bankenpalaeste aus dem Boden gestampft, waehrend die Plattenbausiedlungen verfallen, modisch gekleidete junge Maenner steigen aus

deutschen Nobel-Limousinen, waehrend auf dem Buergersteig alte Frauen in geflickten Kleidern kleine Mengen gesammelter Pilze und Waldfruechte verkaufen. Der Einzug der Marktwirtschaft mit allen Ihren Konseqenzen ist ueberall gegenwaertig.

Mit reisetauglichen Rennraedern auf Tour

Der oertliche Radsportclub hat Fahrraedcr fuer uns besorgt, meist aeltere Rennraeder, die mit viel Improvisationsgeschick reisetauglich gemacht wurden. „Mein" Rad ist z.B. mit einem handgefertigten Gepaecktraeger aus Titanrohr ansgestattet. Nach einer Stunde Schrauberei hat jeder ein passendes Rad gefunden. Gemeinsam mit 8 Studenten der Fremdsprachenhochschule geht es zum Hafen. Nachdem man sich bisher nur mit dem aeusserst umfangreichen OPNV-System durch die Stadt bewegt hatte, war die erste Fahrraderfahrung um so krasser. Schlagloch am Schlagloch, Autofahrer die keine Verkehrsregel, geschweige denn Ruecksicht auf Schwaechere zu kennen scheinen, dunkele Abgasnebel aus LKW-und BUS-Auspuffen - Stuttgart wird in der Erinnerung zum Radparadies.(!!! 1994!!! Gute Veränderungen vorhanden!)

Mit dem Schnellboot „Raketa" setzen wir ueber die Wolga. In gemaechlichem Tempo radeln wir dann auf erstaunlich gut asphaltierten, verkehrsarmen Strassen durch die erst kleinstaedtische, dann laendliche Gegend und bald gibt es nur noch endlose sumpfige Wald- und Wiesenlandschaft. Haeufig legen wir Pausen ein und sammeln wilde Erd- und Johannisbeeren. Das ruhige Tempo laesst genug Gelegenheit zur Diskussion ueber Politik, Umwelt, Musik mit unseren jungen russischen Begleitern. Am Abend erreicht uns der Begleit-PKW. An einem Bach wird angehalten, die Zelte aufgebaut, Holz gesammelt und auf dem Feuer Tee und Suppe gekocht. Leider wird die Lagerfeuerromantik von Heerscharen von Muecken - die sich weder von den Segnungen der deutschen Chemieindustrie noch den Duftwaesserchen aus dem Bioladen ernsthaft beeindrucken lassen. Nur die haerter gesottenen halten es an diesem und den folgenden Abenden laenger aus und bewundern Sternenhimmel, Selbstgebrannten Wodka, den Geschmack einer Machorka, russische Sangesfreude und hintergruendigen Humor.

Abenteuer pur

Um alles Aufzuzaehlen was wir in diescn Tagcn an Berichtenswertem erlebt haben wuerde dieses Heft nicht ausreichen: Die zwei Froesche, die eines Morgens auf einem Rad sassen, der Bauer, der seine Banja (russ. Sauna) fuer uns anheizte, eine Draisinen-fahrt mit Waldarbeitern, zwei Felgenbrueche an einem Rad, riesige Pfitterling-Vorkommen, ein verlorener Rucksack und die Anzeigeaufnahme bei der laendlichen Polizeistation...

In Sernjonow erreichen wir den Fluss Kershenetz. Dort erwartet uns ein LKW, der die Raeder gegen Faltboote austauscht. Das Faltbootfahren auf maessig schwierigen Gewaessern ist hier gerade bei jungen Familien eine beliebte Methode Urlaub in der Natur zu machen, zumal sich so ein Boot auch eben noch mit oeffentlichen Verkehrsmitteln transportieren laesst. Uns schloss sich hier eine Familie (Eltern, 4 und 6 jahrige Soehne, Hund) an (Natascha, Sascha, Serjoga und Wowka Tscharkows), die uns trotz ueberladenem Boot stets abhaengte.

Weiter geht es mit einem Faltboot

Das ruhige Paddeln, aber auch mal stundenlange Treibenlassen bei praechtigem Sonnenschein liess ausreichend Gelegenheit zur Tierbeobachtung, dem Erlernen russischer Lieder, aber auch purem dekadenten Sonnenbaden. Bei einer Rast trafen wir einen verschrobenen ehemaligen Atomphysiker, der hier als eine Art Einsiedler nach mittelalterlichen Methoden Bienen in hohlen Baumstaemmen zuechtet. Kroenenden Abschluss dieser Etappe bildete die Muendung des Kerschenetz in die kilometerbreite Wolga. Vom Kloster Makarejew ging es fuer die, die nicht das Schiff verpassten, zurueck nach Nishnij.

Wer mag, kann dieses Jahr (2004)noch auf Tour gehen!

Andreas Oehler

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